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EINE FOTOGRAFISCHE GESCHICHTE DER FOTOGRAFIE (1992)

 

COLETTE DUCK (Deutschland-Belgien, 1949)

 

Kosmologische Transformation

 

Seit den 1970er Jahren haben viele begonnen, sich in einem expandierenden Universum inmitten einer üppigen geologischen und biologischen Entwicklung zu befinden, die unumkehrbar war. Das klärte die etwas auf  kosmologische Reise durch Zivilisationen in der Art von Max Pam und durch Momente der Geschichte in der Art von Scianna. Dies sollte auch unser Ausgangspunkt sein, um die Wahrnehmung der zu verstehen  Kosmologische Transformation  in der Art von Colette Duck.

Die kosmologische Transformation ist so alt wie die Hügel. Doch die Aggregations- und Instinktelemente von WELT 1, die von enger Kontinuität sind, haben nur den elementaren Fall der Aggregation beibehalten: die Zeugung. Die WELT 2, die von entfernter Kontinuität war, floh fast vor der Aggregation, als letztere ihre Suche nach integralen Teilen und Ganzen in ihrem Höhepunkt (ihrem Integrationshöhepunkt) zerschmetterte. Auch das Funktionselement von WELT 3, das der Diskontinuität, war zunächst viel mehr kombinatorisch als transformierend, wie Picasso oder Bauhaus erprobten. Zusammenfassend mussten wir bis in die 1970er Jahre warten, bis das Einmal-Nie-Wieder-Gefühl das Universum selbst erfasste, bis der unumkehrbare Faktor Zeit als solcher zum Kernstück eines künstlerischen Themas wurde.

Musik – durch ihre zeitliche Natur und Empfindlichkeit gegenüber Schwankungen – wurde erstmals auf diese neue Sensibilität getestet, als Steve Reich, Phil Glass und La Monte Young musikalische Mechanismen schufen, die dazu einluden, Klang als Ort unendlich kleiner, fruchtbarer, unaufhörlicher Mutationen zu begreifen. Der Schock war generalisiert. Beispielhaft schreibt die polnische Malerin Opalka seit 1965 jeden Tag, von Bild zu Bild und von Zeile zu Zeile, eine Suite (Folge) positiver vollständiger Zahlen von eins bis unendlich in endlos helleren Grautönen, die dazu bestimmt sind, zu verblassen mit seinem eigenen Leben. Die meisten Happenings konzentrierten sich, wie der Name schon sagt, auf das geduldige Erfassen der Unvorhersehbarkeit und der Unumkehrbarkeit der vergehenden Zeit. In all diesen Fällen ist der Künstler zu einem gefeierten Kosmologen geworden. 

Die Fotografie spielte ihre Rolle in dieser transformativen Vision. Aber seine Version in Schwarzweiß war besser geeignet, um makroskopische Transformationen aufzuzeichnen, wie in der Arbeit von Denis Roche. Die unendlich kleinen kosmologischen Transformationen erforderten Farbfotografie. Colette Duck bezeugt dies, auch wenn dieses Ziel in ihrer Arbeit neben der Fotografie auch Malerei, Skulptur, Video, Ready-Made und chemische Veränderungen forderte. Wir beschränken uns auf ihre Fotos.

Beim Durchblättern des 1991 von Espace Médicis herausgegebenen Buchkatalogs (CD) fällt uns zunächst die archetypische Rolle auf, die das farbige Autothermogramm spielt. Dort ist das Thema der eigene Körper visualisiert in einem besonders schwankenden Faktor, seiner Wärme, und am propriozeptivsten, da in der engsten Verbindung zwischen dem Nehmer und dem Genommenen der Operateur – auf dem Monitor – den Griff zu sich selbst variiert, um zu wählen was er am intimsten und bewegendsten findet. Wir messen das Privileg des weiblichen Körpers, ein Ort des kosmologischen Aufbrausens, der angeblich in der Menstruation und besonders in der Schwangerschaft und Laktation vorkommt, wo zwei verwechselte und unterschiedliche Organismen einen Austausch führen.

Die unendlich kleine kosmologische Transformation übergreift jedoch den eigenen Körper und betrifft ebenso die Außenwelt. Daher war ein anderes Thema erforderlich, eines, das ausreichend universell, mutationsabhängig war und bei dem die Mutation geeignet wäre, auf eine Weise gezeigt zu werden, die wiederum visuell, taktil, kinästhetisch und propriozeptiv ist. Dieses Thema ist der Berg, der sich säkular und täglich verändert, der in einer Schwerkraftanstrengung berührt und ergriffen werden kann, sichtbar für ein großes Volk, für das er der Gott ist, durch seine Masse, durch seine Vorgeschichte und durch seinen Namen. Colette Ducks Berg-Verwandlung sind die 3000 Meter der Österreicherin  Zugspitze Wetterstein  (*CD).

Nur Farbfotografien konnten diese geologische und meteorologische Transformation aus nächster Nähe und in mittlerer Entfernung, im Sichtbaren und im Infraroten (in der Nähe des Thermogramms) in einer Berührungsvision (wiederum das Thermogramm) hervorheben, die mit zusammenfiel die Anziehungskraft des Felsens und des Körpers des Bergsteigers so angepasst, dass die Projektionen nicht nur einfache Oberflächen, sondern auch Tiefen und Umarmungen aufnehmen konnten. Wenn die endgültige Bearbeitung einer Serie (*CD) Platz macht, orchestrieren diese Staunen und Bemühungen, manchmal unterdrücken sie die Zustände der Erfahrung, kehren sie jedoch nie um. Wenn ein Foto isoliert ist und in diesem Fall keine sequentielle Orchestrierung besitzt, bedarf es, um haptisch zu werden, der bildlichen oder chemischen Nachbearbeitung.

 

Wir sehen dann, dass fotografisch nicht so sehr das Farbfoto transformierend ist, sondern die Reihen von Farbfotos. Wenn das Scanachrome seit 1900 einen Eingriff in die Dimension, die Textur oder die Farbe einer isolierten Fotografie erlaubt, kann es die Konturen nicht verändern und erfordert am Ende des Tages auch die bildliche oder chemische Nachbesserung der taktile Aspekt und die Mutation (außer sicherlich im Autothermogramm, das jeden Sinn verlieren würde, wenn sie verändert würden. 

Wir ziehen eine Parallele zwischen Colette Duck, deren Mutter Deutsche war, und dem etwa gleichaltrigen Dieter Appelt. Auf beiden Seiten finden wir das gleiche spezifisch deutsche Verständnis der begleitenden Explosion und Implosion. Die gleiche Verpackung von Raum und Zeit, das bedeutet, dass es niemals Oberflächen ohne Tiefen gibt. Dieselbe Kombination aus Weichheit und Wildheit, aus Liebkosung und Einbruch, aus Vision und Berührung. Wir werden sagen, dass Colette Duck auch eine italienische Seite hat, genauer gesagt venezianisch, da der Brenner die einzige Trennung zwischen Innsbruck und Venedig ist. Auch Dieter Appelt fotografierte 1981 die Tiefen des Zeit-Raums in Venedig, das Transformationale, betitelt  Venedig  in seiner Serie  Esra Pfund.

 

Henry van Lier
Eine Fotogeschichte der Fotografie
in
   Notizbücher der Fotografie, 1992

 

Abkürzungsverzeichnis gängiger Referenzen:

Die Akronyme (*), (**), (***) beziehen sich jeweils auf die erste, zweite und dritte Abbildung der Kapitel. Der Verweis (*** AP, 417) ist also zu interpretieren als: „Dies bezieht sich auf die dritte Abbildung des Kapitels, und Sie finden eine bessere oder andere Wiedergabe mit den erforderlichen technischen Angaben in  Die Kunst der Fotografie  aufgeführt unter der Nummer 417“.  

 

 

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